Gegner größenwahnsinniger Projekte werden zu Terroristen erklärt – Haben die TAV-Gegner die EU „beleidigt“?

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tav-mafia

Seit einiger Zeit läuft in Italiens „Nicht mehr FIAT-Stadt“ ein Prozess gegen die Gegner (NO-TAV) der Hochgeschwindigkeitsbahn Turin – Lyon (TAV). Wer nun denkt, dass sich die Argumentations-Lächerlichkeiten seitens der Turiner Staatsanwaltschaft nicht mehr überbieten lassen, irrt gewaltig.

Laut dem EU-Antikorruptionsbericht vom 3.2.2014 informierte die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, dass die wirtschaftlichen Kosten, die durch Korruption europaweit verursacht werden, auf jährlich bis zu 120 Milliarden Euro angewachsen sind. Laut Statistik liegt Italien dabei mit 60.000 Milliarden Euro an der Spitze. Darüber ist die EU nicht beleidigt, die Turiner Staatsanwaltschaft meint etwas ganz anderes.

Italien und die Kreativität der Italiener

Italien ist bekannt wegen seiner kreativen Köpfe. Wenn die Kreativität sich allerdings vom Design, der Mode oder der Architektur zunehmend auf Winkeladvokatie ausdehnt, spätestens dann zieht es die italienische Bevölkerung auf die Barrikaden. Die Vorgeschichte zum TAV-Projekt können Sie nachlesen unter dem Artikel „Das schwarze Loch des TAV -Hochgeschwindigkeitsbahn“

Die am 9. Dezember 2013  inhaftierten vier TAV-Gegner Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò sind von der Turiner Staatsanwaltschaft angeklagt wegen “Attentat mit terroristischem Anliegen und politischer Subversion”. Für die Demonstranten handelt es sich um einen rechtmäßigen Widerstand, eine Aktion, bei der allerdings einige Baumaschinen (ein Generator) beschädigt worden sind, ohne dass dabei Personen Schaden zugefügt wurde. Es sei vor Prozessende dahingestellt, ob sie gänzlich unschuldig sind an dem Sabotageakt, der sich in der Nacht vom 13./14. Mai 2013 anlässlich einer der vielen Demonstration auf der Baustelle Chiomonte zugetragen haben soll. Doch dass die Begründungen des Turiner Gerichts nicht ausreichen, die Inhaftierten im Turiner Gefängnis-Hochsicherheitsbunker geführten Prozess als Terroristen abzustempeln, steht außer Frage. Eher zeigt es, mit welcher unverhältnissmäßigen Härte und repressiver Verbissenheit seitens der Justiz gegen die TAV-Demonstranten vorgegangen wird.

Werden wieder mit dem Hochgeschwindigkeitsprojekt die Macht- und Kapitalinteressen von Personen aus der Finanz- und Bauwirtschaft, die bereits bei anderen Großprojekten mitgemischt haben, zum Zuge kommen?

Alle TAV-Gegner sind nicht nur zum Feindbild der Befürworter, die bereits bei anderen Projekten erfolgreich mitgemischt haben, geworden, sondern auch der italienischen Justiz. Jetzt taucht die berechtigte Frage  auf:

Von wem und warum wurde die EU beleidigt?

Nicht etwa wegen dem Korruptionsschaden Italiens von 60 Milliarden pro Jahr, sondern weil sie sich mit vielen anderen Demonstranten gegen das TAV-Projekt – das ohne Finanzierungen der EU gescheitert wäre – ausgesprochen haben. Laut der Turiner Staatsanwaltschaft haben die Angeklagten mit ihrem NO-TAV-Protest die EU „beleidigt“. Ein Projekt, das nicht einmal von der EU angefragt wurde, sondern es war der italienische Staatssekretär für Infrastruktur und Verkehr, Rocco Girlanda, der die Anfrage vor das Parlament gebracht hatte.

Die EU scheint auch nicht beleidigt worden zu sein von korrupten Politikern und Verwaltungsbeamten, die gefälschte Daten zum Projekt der Hochgeschwindigkeitsbahn vorgelegt haben. In einerPressemitteilung ist die Rede von „List und Täuschung gefälschter Daten“, die an die EU-Kommission gegeben wurden, um an eine europäische Finanzierung zu kommen:

– Im EU-Förderprogramm für transeuropäische Verbindungen  ist keineswegs von Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnlinien die Rede. Dennoch ist die zum TEN-T 6- Projekt gehörende, aufwändig geplante Strecke als  kostspielige Hochgeschwindigkeitslinie vorgesehen.

– Die Hochgeschwindigkeitslinie wurde als herkömmliche Linie bezeichnet, da eine neue Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnlinie unter der Achse TEN-T 6 nicht erlaubt ist.

– Dazu kommt, dass es zwischen Italien und Frankreich bereits durch das Susatal eine Eisenbahnstrecke zwischen Turin – Lyon gibt, die durch den heutigen Fréjus-Tunnel führt, der über mehrere Jahre hinweg bis 2011 mit großem Aufwand modernisiert wurde.

– Auch scheint die offizielle Begründung der Befürworter unglaubwürdig, nämlich, dass der Bau dieser Bahnachse enorme wirtschaftliche Vorteile eröffnen würde und die momentanen Verbindungen von Strasse und Bahn fast ausgeschöpft seien. Auch das entspricht nicht der Wahrheit, denn die bereits bestehende Linie ist nicht einmal ausgelastet.

Was sagt die EU zu wissenschaftlichen Analysen, die gegen das Projekt sprechen?

Die vorgebrachten Argumente  der NO-TAV-Gegner stützen sich auf einen über 20jährigen!!! Erfahrungsschatz und auf stets aktualisierte Analyen und Untersuchungen, die von unabhängigen Wissenschaftlern und Experten durchgeführt wurden und werden. Darunter Experten der Verkehrs- und Finanzwirtschaft, der Umwelttechnik, von Naturforschern, Geologen, Agrarwissenschaftlern, Ärzten und Richtern.

Nachstehend einige Argumente und die wichtigsten Gründe des Widerstandes der NO-TAV-Bewegung gegen die neue Hochgeschwindigkeitsbahn.

Sie alle sagen NEIN, da es ein Großprojekt ist, welches:

– Nutzlos ist, da es nicht durch vernünftige Prognosen des Fracht- und Passagierverkehrs gerechtfertigt ist.

– Mit untragbaren Schulden einhergeht, die alle auf Kosten der öffentlichen Ausgaben gehen würden, auch der von zukünftigen Generationen und weitere Finanzierungslöcher für den Erhalt von Gemeingütern wie Schulen, Krankenhäuser und sozialen und kulturellen Einrichtungen reißen würden.

– Das Wachstum der perversen Verbindungen von Unternehmern, der Politik und Mafia begünstigen würde. Ein zusätzlicher Krebs in Italien, der wieder einmal nur bestimmten Lobbys Vorteile bringt.

Friedliche Demonstranten werden kriminalisiert

Alberto Perino, geschätzt als erfahrener, kompetenter und friedlicher Mitstreiter seit der ersten Stunde und als einer der engagierten, wortgewandten Sprecher der NO-TAV-Bewegung wurde ebenso wie die Bürgermeisterin von San Didero, Loredana Bellone, und der Vizebürgermeister Giorgio Vair als verantwortlich verurteilt für eine friedlich verlaufene Besetzung einer TAV-Baustelle, auf der im Susatal Probebohrungen am 11./12. Januar 2010 vorgenommen werden sollten. Von einigen hundert Demonstranten wurden die drei als „Anführer“ Im Januar 2014 zu einer Geldstrafe von 215.000 Euro, deren Zahlung in den kommenden Tagen fällig sein wird. Die Schadenersatzansprüche wurden der italienisch-französischen Betreibergesellschaft LTF (Lyon-Turin-Ferroviaire) zugesprochen.

Auf diesem Video ist zu sehen, wie der Sprecher Alberto Perino vollkommen friedlich den Betreiber- und Staatsvertretern die Bedenken der Demonstranten erklärt und er auch auf das Demonstrationsrecht der Bürger aufmerksam macht. Daraus wurde bewusst eine „Straftat“ formuliert, mit der wieder einmal drei unbescholtene Bürger kriminalisiert werden und gegen die in vollkommen überzogener Art und Weise vorgegangen wird.

Und jetzt die gute Nachricht

Von den sympathisierenden Bürgern wurde sofort nach dem Urteil gegen Alberto Perino und die beiden Bürgermeister in ganz Italien zu einer Spendenaktion aufgerufen, die nach nicht einmal 20 Tagen, am 8. Februar, die beachtliche Summe von 149.663 € erreichte (Conto Banco Posta Nr.1004906838, Empfänger Davy Pietro, Cebrari Maria Chiara, IBAN: IT22L0760101000001004906838).  Es bleibt zu hoffen, dass bis zum 15. Februar die komplette Summe erreicht wird.

Dies zeigt die große Sympathiewelle von Menschen, die den TAV-Gegnern zur Seite stehen und die unermüdlich gegen Korruption in Italien kämpfen.

Vielen Dank an Martina und ihre Infos!

© 9. Februar 2014 Netzfrau Birgitt Becker

statistik No-tav

Nachtrag zum Artikel am 11.2.2014: Es ist kaum zu glauben und großartig!!! Das Spendengeld ist nun gesammelt (s. Statistik) und die geforderte Summe ist ERREICHT. Großes Kompliment an die italienische Bevölkerung, die mit ihrer finanziellen Unterstützung das scheinbar Unmögliche in so kurzer Zeit möglich gemacht hat.

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Gegner größenwahnsinniger Projekte werden zu Terroristen erklärt – Haben die TAV-Gegner die EU „beleidigt“?ultima modifica: 2014-02-12T08:22:17+01:00da davi-luciano
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